Kurzer Bericht zur Lage der Nation

Veröffentlicht am 12.01.2019 in Meinung

Kantholz statt Nationalstolz: Auswahl von Kanthölzern in der Google-Suche

Von Kanthölzern und Lichterketten: Eine kurze Aufarbeitung der Ereignisse der letzten Tage. Von Bengt Rüstemeier

I. Pankow

8. oder 9. Januar. Die NPD marschiert durch den Norden des Bezirks, zeigt sie stolz auf Facebook. Ihre »Schutzzonenstreife«, von der es begrifflich nur ein kurzer Stechschritt zu »Schutzstaffel« ist, läuft vor Geflüchtetenunterkünften auf und ab und generell dort, wo „Ausländer“ sind, um ebendiese zu terrorisieren. In den Kommentaren schreiben die Nazis, dass die Bezeichnung „Nazi“ für sie doch völlig okay wäre.

II. Bremen

7. Januar. In Bremen hat jemand einen AfD-Politiker geboxt. Der ist dabei umgefallen und hat sich im Gesicht wehgetan. Schon am nächsten Morgen erklärt die AfD: Die bösen Antifaschisten hätten ihn mit einem Kantholz niedergeschlagen. Sofort hagelt es Solidaritätsbekundungen aus allen Spektren der antiextremistischen Nation: Die Rechten rufen nach einem Verbot der Antifa, die Linken, von Politiker*innen der SPD über die Grünen zur Linkspartei, distanzieren sich von dem Angriff, der ja, so behauptet es die AfD, von den Linksfaschisten ausgegangen sei, und wünschen ihm gute Genesung.

Küßt die Faschisten! Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Später stellt sich heraus: Es gab kein Kantholz, und die Motivation der Angreifer*innen ist auch unklar. Trotzdem übernehmen Medien und demokratische Politiker*innen die Geschichte der AfD, ohne dass sie weiter überprüft worden wäre.

III. Mecklenburg-Vorpommern

8. Januar. Ein Genosse bekommt, nachdem der Angriff auf Magnitz bekannt wird, Drohnachrichten von mehreren AbsenderInnen zugesandt. Neben übelsten Beschimpfungen steht da unter anderem drin: „Du und deine Genossen sorgt dafür dass DEUTSCHE Patrioten mitlerweile um ihr leben fürchten müssen!!!! […] Man kann nur hoffen dass die DEUTSCHEN Patrioten das recht in die eigene hand nehmen und sich um dich kümmern!“

IV. München

8. Januar. Eine linke Journalistin kommentiert die Gesundheitsbeeinträchtigung des erwähnten AfDlers auf Twitter: „Dass #Magnitz zusammengelatzt wurde ist übrigens die konsequente Durchführung von #NazisRaus. Abhauen werden die nicht. Die werden sich bei der größten möglichen Bedrohungssituation aber zweimal überlegen ob sie offen faschistische Politik machen. Deshalb: mit ALLEN Mitteln.“

Nachdem IB-Protagonist Martin Sellner den Tweet verbreitet, schlagen dessen Fascho-FreundInnen eine Welle des Hasses los. Tausendfach erhält die Journalistin Drohnachrichten, es werden Mordaufrufe verbreitet, eben alles so, was die organisierte Rechte mal eben so aus dem Ärmel schütteln kann. Die Journalistin löscht den Tweet und stellt ihr Profil auf privat – die Angriffe halten an.

Die taz, für die die Journalistin unter anderem schrieb, findet die Angriffe nicht gut und distanziert sich deshalb von dem Tweet.

Schnee und Kommunist*innen erneut zu viel für die Deutschen

Die Journalistin ist als Referentin des „Linken Bündnis gegen Antisemitismus München“ geladen, um über Antisemitismus und Männlichkeit bei Burschenschaften zu sprechen. Weil ein AfD-Abgeordneter (Jörg Meuthen) dazu aufruft, die Veranstaltung zu „besuchen“, und es daraufhin konkrete Gewaltandrohungen und Mordaufrufe gab, musste damit gerechnet werden, dass rechtsrechtsradikale Gruppen in der Absicht die Veranstaltung besuchen, Teilnehmer*innen des Vortrags zusammenzuschlagen. Schließlich wird der Vortrag an einen geheimen Ort verlegt.

Es kommt zu keinen Störungen. „Schnee und Kommunist*innen [waren erneut] zu viel für die Deutschen“, kommentiert ein Twitter-Nutzer mit dem Namen „☭☭☭“.

Die Journalistin heißt übrigens Veronika Kracher und schreibt ganz hervorragende Artikel in der Jungle World und der konkret.

V. New York

8. Januar. Auch die New York Times berichtet über den AfDler, der in Bremen angegriffen wurde. Die Kommentarspalte unter dem Post:

„What was he wearing? Had he been drinking? If he had been more responsible, this would not have been happened.“

„Punching nazis is always the correct action.“

„Before we judge the action of his attackers too hastily, we must remember that there are very fine people, on Both sides“ – in Anpielung auf Donald Trumps Äußerung nach den Ausschreitungen in Charlottesville.

„Violence begets violence. Maybe he shouldn’t be encouraging violence.“

„Today’s not the day I sympathize with a Nazi.“

„AfD are literally Neo-Nazis. I honestly struggle to have sympathy.“

„I hope the same happens to right wing politicians here.“

VI. Küßt die Faschisten

Ein AfD-Politiker wurde in Bremen angegriffen. Niemand weiß, aus welcher Motivation das geschehen ist, ob antifaschistisch motiviert oder aus persönlichen Gründen oder etwas vollkommen anderes.

Seine – im weiteren Sinne – FreundInnen, die radikale Rechte (aka „DEUTSCHE Patrioten“), terrorisieren täglich Linke und alle, die nicht in ihr faschistisches Weltbild passen. Wer auf den Kieker der organisierten Rechten gerät oder es aufgrund von z. B. Hautfarbe oder sexueller Orientierung ohne weiteres Zutun automatisch ist, lebt ständig in der Angst, von Rechten angegriffen zu werden, meidet Orte, ändert Gewohnheiten.

Die zuständigen Repressionsbehörden sind im Fall von Gewalt- und Morddrohungen wahlweise unfähig, dagegen vorzugehen, oder geben rechtswidrig selbst Namen und Adressen an Rechtsradikale zur Ergänzung derer Feindeslisten weiter.

Es ist bemerkenswert, wie schnell sich die politische Linke im Fall Magnitz von der Gewalttat distanziert hat – bevor überhaupt klar ist, vom wem diese ausging. Wie schnell, getreulich ihrer Eigenart, Faschisten mit Palmen umwedelt werden.

Wenn „DEUTSCHE Patrioten“ zumindest behaupten, „mitlerweile um ihr leben fürchten müssen“, dann sind das genau diejenigen, die tatsächlich dafür sorgen, dass Linke und Marginalisierte um ihr Leben fürchten müssen. Wenn Magnitz „zusammengelatzt“ wird, dann ruft Meuthen (in einer juristisch einwandfreien Weise) seine Meute dazu auf, Linke anzugreifen.

Wenn „DEUTSCHE Patrioten“, die tagtäglich Linke, Migrant*innen, Homosexuelle und andere Gruppen terrorisieren, wirklich „um ihr leben fürchten müssen“, habe ich jedenfalls kein Mitleid mit ihnen.

Nazis raus, das heißt: den Rechtsradikalen keinen Platz mehr dort lassen, wo sie Schaden anrichten können. Sie konsequent aus öffentlichen Räumen drängen, ihnen keine Foren geben, Naziaufmärsche verhindern.

Mit Lichterketten lässt sich der Faschismus jedenfalls nicht aufhalten.

Der Autor ist Mitglied im Vorstand der Jusos Pankow und unter dem Handle @bengt__r schon seit den 1980er Jahren auf Twitter unterwegs.

Die Meinung des Autors entspricht nicht notwendig der Meinung des Vorstandes.