Held*innen und Erinnerung: Zum 75. Jahrestag des Attentates vom 20. Juli 1944

Veröffentlicht am 20.07.2019 in Gegen Rechtsextremismus

Heute jährt sich das Attentat der Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler zum 75. Mal. Schenkt man Reklame und Facebook-Posts Glauben, so feiert die ganze Stadt, die ganze Bundesrepublik die „Helden des 20. Juli“. Dabei sollte das Jubiläum des Ereignisses jedoch Anlass genug bieten, sich tiefer mit den Attentätern zu befassen.

 

Stauffenberg, der prominenteste Kopf der Gruppe, schrieb so beispielsweise während des Polenfeldzuges an seine Frau: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt.“[1] Ein Ausrutscher? 

 

Mehr weist darauf hin, dass sich Stauffenberg in dem Antisemitismus und Rassenwahn der NationalsozialistInnen wohl fühlte. Kein einziges Mal äußerte er sich negativ gegen Rassenpolitik des NS noch Verfolgung und Unterdrückung der Jüd*innen.[2]Schon vor 1933 hatte sich Stauffenberg aktiv am George-Kreis beteiligt, einer Vereinigung, die eine mystisch fundierte, antidemokratische, antizivilisatorische Gesellschaft als Ziel hatte. Für u. a. Theodor W. Adorno, Walter Benjamin und Thomas Mann zählte der George-Kreis zu den intellektuellen Wegbereiterinnen des Nationalsozialismus.[3]

 

Aber auch Stauffenbergs Mitverschwörer waren nicht alle antifaschistisch motiviert. Dennoch muss zunächst differenziert werden: Anders, als häufig suggeriert wird, gehörten zur Verschwörung des 20. Juli weit mehr als nur die „kleine Clique“ um Stauffenberg. In einem engeren Kreis rund 200 Personen, auf den äußeren der vier Kooperationsebenen gehörten wohl mehrere Tausend Personen dazu. Die Mehrheit von ihnen – die dritte und vierte Ebene – wusste aber nur sehr vage bis gar nicht, was bevorstand und war nicht näher in die Planungen eingebunden. Diese waren vor allem zivile Personen, also keine Militärs, die der Sozialdemokrat und Gewerkschafter Wilhelm Leuschner für die Verschwörung gewonnen hatte. Unter ihnen waren Sozialist*innen, Gewerkschafter*innen, Personen, die sich aus christlichen Motiven beteiligten und andere.[4]

 

Stauffenbergs engste Mitverschwörer dagegen waren keine Demokraten. Einige von ihnen hatten zuvor aktiv an den nationalsozialistischen Verbrechen mitgewirkt, und waren überzeugt von der nationalsozialistischen Idee.

 

So hatte Arthur Nebe als Reichskriminaldirektor mehr als 40.000 Menschen ermorden lassen. Wolf-Heinrich Graf von Helldorf, seit 1933 Polizeipräsident in Berlin, war dem Historiker Peter Steinbach zufolge „ohne Zweifel an der Konsolidierung der nationalsozialistischen Rassendiktatur beteiligt“. Goebbels äußerte sich über Helldorfs Maßnahmen in Berlin erfreut: „Die sind nun wirklich rigoros und umfassend. Auf diese Weise treiben wir die Juden in absehbarer Zeit aus Berlin heraus.“

 

Der Deutschlandfunk-Beitrag von Otto Langels fasst die Situation des Stauffenberg-Umfelds so zusammen: „Wer von den Wehrmachtsoffizieren etwas über die Ermordung der Juden erfahren wollte, brauchte sich nur umzusehen und umzuhören. Viele Regimegegner im Umkreis des 20. Juli aber verschlossen bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein die Augen, ehe sie sich vom Nazi-Regime abwandten und zum Handeln bereit waren.“[5]

 

Die Motivation Stauffenbergs und einiger seiner engsten Mitstreiter war nicht, die industrielle Vernichtung der Jüd*innen zu beenden. Sie war nicht, den Faschismus zu beenden. Nein, Stauffenberg und Co. handelten aus Verbitterung über die Inkompetenz von Adolf Hitler, und wollten „fähigere“ Leute an der Spitze des Dritten Reiches. Die Vernichtungsfantasien der NationalsozialistInnen wollten sie nicht beenden, sondern als Nationalsozialisten weiterleben.

 

Stauffenberg und einige seiner Mitstreiter waren also keine Personen, auf die man sich positiv beziehen sollte. Sie waren keine Helden, sondern harte Antisemiten, Faschisten, Rechtsradikale. Sie waren Täter.

 

Statt sie zu feiern, sollten wir die wirklichen Held*innen des Widerstands gegen den deutschen Faschismus ehren. Den Rotfrontkämpfer Georg Elser zum Beispiel, dessen Attentatsversuch um ein Haar Hitler mitsamt nahezu dessen gesamter politischer Führungsspitze getötet hätte. Oder dem demokratischen Teil der Verschwörer*innen des 20. Juli, wie etwa Wilhelm Leuschner. Oder Sophie und Hans Scholl. Oder die kaum bekannte Mala Zimetbaum, die versucht hatte, Deportationslisten aus dem KZ Auschwitz-Birkenau zu schmuggeln, und noch unmittelbar vor ihrer Hinrichtung dem SS-Aufseher zurief:

 

„Ich werde als Heldin sterben, du aber wirst verrecken wie ein Hund!“[6]

 

(br)

 

[1]Stauffenberg 1939, zit. n. H. A. Winkler, Der Lange Weg nach Westen, Bd. 2 S. 103