Kritik zum Schulgesetz

Veröffentlicht am 01.06.2004 in Schule

Über das neue Schulgesetz.

Das neue Schulgesetz - eine unendliche und sehr problematische Geschichte. von Hans-Gerd Prause, Schulleiter Fichtenberg-Oberschule

Das neue Schulgesetz wird seit ca. 6 Jahren zwischen Parlament und Schulverwaltung hin- und hergewälzt. Nun liegt es wieder im Parlament. Die letzte Hürde, die Schlussabstimmung steht noch bevor. Was lange währt, wird gut? Die Ergebnisse von TIMSS und PISA lasten wie eine schwere Hypothek auf der Schule. Sie lagen druckfrisch vor, als die rot-rote Koalition die Federführung am Schulgesetz übernahm. Die Zeichen an der Wand verstand sie freilich nicht zu lesen. Sie beugte sich dem Diktat der KMK-Verabredung, sich nicht der Frage der Schulstruktur zu stellen. Sie brach Wahlversprechungen, verschlechterte durch Kürzungen die Unterrichtsbedingungen in nicht gekannter Weise. In dieser Situation will sie das Schulgesetz von oben her implementieren, trotz breiter Ablehnung bei den Betroffenen. Fatale Folgen sind bereits heute erkennbar.

Die Schulzeit bis zum Abitur z.B. soll auf zwölf Jahre verkürzt werden - eine in vielen Ländern schlüssig praktizierte Realität. Nicht so in der Berliner Schule! Das magische Viereck "sechsjährige, einheitliche Grundschule", "Durchlässigkeit bis Klasse 10", "Abitur in 12 Jahren" und "Erhöhung der Abiturientenzahl ohne Abstriche bei der Qualität" kann weder durch Gesundbeterei noch durch Formelkompromisse zu einem Fundament für einen Umbau werden. Die ersten beiden Eckpunkte, in denen sich Berlin seit langem vor anderen Bundesländern auszeichnet, werden zukünftig derart in die Zange genommen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie endgültig fallen. Wer die Zeit bis zum Abitur auf 12 Jahre verkürzen will, indem er die dreijährige Oberstufe auf zwei Jahre verdichtet, macht zwingend Abstriche an der Qualität. Eine Anreicherung der Klassen 5 bis 10 mit zusätzlichen Stunden ist kein Ausgleich für spezifische, in der Oberstufe vermittelte Ziele wie Studierfähigkeit. Der Versuch, höhere Stufen der Abstraktion in die Grundschule oder in die Sek I vor zu verlagern, prägte z.B. den Neuansatz in Mathematik nach dem Sputnikschock und scheiterte dann schlicht an der Realität des Unterrichts in jenen Altersgruppen. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht! 12 Jahre bis zum Abitur werden in der Folge zwingend zu einem Einbezug der 10. Klasse in die Sek II und zu einer äußeren Leistungsdifferenzierung ab Klasse 5 führen.

Die zentrale Aufgabenstellung beim Abitur und bei den Vergleichsarbeiten in Klasse 10 tragen ihr übriges dazu bei. Evaluation längs vorgegebener zentraler Standards einzusetzen, um Fehlsteuerungen zu identifizieren und durch ein vielfältiges, Schüler und Lehrer einbeziehendes Unterstützungssystem zu beheben, denkt Schule vom Kind her. Der Berliner Weg aber, zentrale Prüfungsverfahren mit Abschlüssen zu verkoppeln, wird dazu führen, Schüler wie Lehrer für schlechte Ergebnisse individuell in Haftung zu nehmen - erstere möglicherweise lebenslänglich.

Viele Inhalte des Gesetzes sind geeignet, zukünftig einem Großteil der Berliner Schüler nachhaltig Schaden in ihrer Schullaufbahn zu zufügen. Aber: Rot-rot will das Schulgesetz endlich vom Tisch haben und drängt auf Verabschiedung, gleichsam nach dem Motto: Das Schulgesetz in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel, weder die Kritiker, die Besserwisser, die nur bremsen, noch die GEW auf. Nein, im Parlament, da sitzen nicht Ochs, nicht Esel, da sitzen Volksvertreter, die den Lauf betreiben wollen, nachdenkliche und nachdenkende. Vielleicht aber besteht gerade darin eine Chance. Was wäre die Alternative? Abschied nehmen von falschen Propheten! Einen Runden Tisch einrichten. Gute Reformansätze kommen von unten! Nach PISA denken! Andreas Schleicher, den PISA-Koordinator, als Moderator des Runden Tisches? Es gibt Alternativen! Sie sind ein Gebot der Stunde, des Nach-PISA-denkens.