Mitgliederversammlung am 08.07.2015: Die Ukraine-Krise aus friedenspolitischer Perspektive mit Ute Finckh-Krämer

Veröffentlicht am 10.07.2015 in Jusos

Mit Ute Finckh-Krämer sprachen wir in der Kiezkantine über den Ukraine-Konflikt.

Nachdem uns das Thema Ukraine-Krise im vergangenen Jahr mehrfach beschäftigt hatte, wollten wir diesmal mit einer Expertin über die politischen Konsequenzen der Krise und Lösungsansätze sprechen. Auf unserer Mitgliederversammlung am Mittwoch hatten wir deshalb die Friedenspolitikerin und SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Finckh-Krämer zu Gast. Im Bundestag ist sie Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, des Unterausschusses Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln, des Unterausschusses Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Außerdem ist sie seit Jahrzehnten friedenspolitisch aktiv, unter anderem im Bund für soziale Verteidigung e.V., der sich für gewaltfreie Konfliktlösungen und Abrüstung einsetzt.

Ute nahm sich sehr viel Zeit für uns und berichtete uns ausführlich, sehr differenziert und ausgewogen über die Krise in der Ukraine. Sie machte deutlich, dass sich in der Ukraine-Krise schon innerhalb der Ukraine mehrere Konflikte überlagern, die gesondert betrachtet werden müssen, wenn die Krise mittelfristig gelöst werden soll. Hhistorisch begründet leben in der Ukraine viele verschiedene Ethnien, die aber aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus der Ukraine nicht alle gleich gut repräsentiert werden, gleichzeitig verläuft eine Konfliktlinie zwischen dem industrialisierten Osten und dem eher agrarisch geprägten Westen der Ukraine. Verstärkt wird dieser Konflikt durch die politische und wirtschaftliche West- und Ost-Orientierung der westlichen beziehungsweise östlichen Landesteile. Hinzu kommen geopolitische Aspekte, die mit zur Eskalation der Ukraine-Krise beigetragen haben. So bestätigte uns Ute, dass Russland sich zunehmend von starken Militärmächten eingekreist und bedroht sieht - nicht nur durch die NATO im Westen, sondern auch durch die großen Truppenkontingente der westlichen Allianzen im Nahen und Mittleren Osten sowie die, auch nuklear aufrüstenden, regionalen Großmächte Pakistan und Indien sowie China - und der Flottenstützpunkt von Sewastopol auf der Krim für Russland strategische Bedeutung besitzt, da er einer von zwei eisfreien Flottenstützpunkten Russlands ist. Keine Rolle hingegen spielt die ukrainische Rüstungsindustrie, die sich im Norden der Konfliktregionen befindet und die auch die russischen Armee Streitkräfte beliefert. Beide Seiten, Russland und die NATO, haben dazu beigetragen, dass Außenpolitik spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts wieder verstärkt in geostrategischen Dimensionen gedacht wird, so Ute.

Um das Konfliktpotential innerhalb der Ukraine zu reduzieren wären hier dringend politische Reformen notwendig. Vor allem müsste die Rechtstaatlichkeit der Ukraine verbessert werden. Nach wie vor ist zum Beispiel der ukrainische Generalstaatsanwalt politisch weisungsgebunden und auch die Unabhängigkeit der Gerichte ist mangelhaft. Korruption ist ebenfalls ein großes Problem. Zudem wäre eine politische Dezentralisierung des Staates notwendig, um die Interessen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen besser zu vertreten. Im Interesse der Krim-BewohnerInnen sollte außerdem ein Transitabkommen geschaffen werden, so dass die Menschen mit russischen Pässen dort auch über den Landweg nach Russland kommen können.

Ute berichtete uns auch über das brüchige Waffenstillstandsabkommen von Minsk. Anscheinend hat weder die ukrainische Regierung die Freiwilligenbataillone im Donbass, noch die russische Regierung die Separatisten und ihre Mitkämpfer in der Region direkt und vollständig unter Kontrolle. Die Geister, die hier von beiden Seiten gerufen wurden, haben sich teilweise verselbstständigt. Umso wichtiger ist eine konsequente Überwachung des Waffenstillstandes durch die OSZE-Beobachtermission und die ukrainisch-russischen Militärkommissionen, die auch verloren gegangenes Vertrauen wieder aufbauen sollen. Interessanter Nebenaspekt: Auf beiden Seiten kämpfen mittlerweile auch Djihadisten, die den Konflikt nutzen, um Kampferfahrung zu sammeln. Wir fragten Ute auch nach ihrer Einschätzung zu der Behauptung Putins, in der Ostukraine hätten russische Soldaten auf Urlaub gekämpft. Tatsächlich ist es so, dass jeweils ungefähr ein Drittel der ukrainischen und der russischen Bevölkerung enge verwandtschaftliche Beziehungen untereinander haben. Vor diesem Hintergrund erscheint Putins Behauptung zumindest weit weniger unglaubwürdig, als auf den ersten Blick.

Wir wollten auch wissen, für wie begründet Ute die Ängste der baltischen Staaten vor einer russischen Militärintervention in der Region hält. Natürlich sind diese Ängste im historischen Kontext zumindest teilweise nachvollziehbar. Allerdings scheinen diese Sorgen vor allem in Estland und Litauen eher das Symptom innenpolitischer Probleme zu sein. So sind in beiden Staaten die ethnisch russischen Minderheiten sozial und politisch nicht gut integriert, teilweise werden ihnen Bürgerrechte vorenthalten. Das macht diese Bevölkerungsgruppen empfänglich für russische Propaganda und lässt sie in einer Sowjet-Nostalgie schwelgen. Diese Diskriminierungen zu beenden, würde vermutlich auch dazu führen, dass die dortigen ethnisch-russischen Minderheiten kein Interesse mehr daran haben, von Russland „heimgeholt“ zu werden.

Wir waren uns darin einig, dass die kürzlich wieder verlängerten Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland kein sinnvolles Instrument sind, um Vertrauen zu erneuern und den Konflikt zu lösen. Wirtschaftlich wirksam scheinen ausschließlich die Öl-Sanktionen zusammen mit einem sinkenden Ölpreis zu sein. Die gegenseitigen Reisebeschränkungen für PolitikerInnen führen aber vor allem dazu, dass die Verhandlungen rund um diesen Konflikt erschwert werden. Es gibt also viele Möglichkeiten, um an einer friedlichen Lösung des Konflikts zu arbeiten, ohne eine neue große Ost-West-Konfrontation wie im Kalten Krieg heraufzubeschwören. Eine neuerliche, auch atomare Aufrüstung auf beiden Seiten und gegenseitige Schuldzuweisungen gehören sicherlich nicht dazu. Bei der Beurteilung des Konfliktes darf es nicht darum gehen, „sich auf eine Seite zu schlagen“. Die gegenseitigen Sanktionierungen von EU und Russland sehen wir deshalb kritisch, jegliche Aufrüstung lehnen wir ab. Militärische Drohungen schaffen kein Vertrauen, das aber die Basis für konstruktive Verhandlungen um Lösungen für den Konflikt ist. Stattdessen lenken militärische Drohgebärden von den eigentlichen Konfliktursachen ab und überlagern diese mit neuen Problemen, so dass eine Konfliktlösung noch schwieriger wird.

Herzlichen Dank an Ute für das hochinformative Gespräch! Wir hoffen auf eine Fortsetzung. Über Utes Arbeit könnt Ihr euch unter http://www.finckh-kraemer.de/ informieren, auf Facebook findet Ihr sie unter https://www.facebook.com/UteFinckhKramer