Der Stolz auf einen Zufall

Veröffentlicht am 10.10.2004 in Gegen Rechtsextremismus

Nils Höffler karikiert den Nationalstolz. (Weitere Artikel aus der Rubrik: Nils denkt folgen.

von Nils Höffler

Wir leben, so hört es sich zumindest momentan an, in einer Zeit, in der es allen mal wieder unheimlich schlecht geht. Das Wachstum bleibt gering , die Arbeitslosenzahl steigt über die gefühlten dreißig Millionen, der Fußball ist schlecht, das Bier schal und das Wetter miserabel. Verflucht! Und nun stelle man sich einmal vor, man sei einer der Einflussreicheren der politischen Klasse dieses Landes und müsse sich bei einer derart missmutigen Stimmung Symphatien erkämpfen. Wie macht man das am besten? Die geschickteste Möglichkeit besteht darin, dem frustriertem Kleinbürgertum einen Knochen hinzuwerfen, auf dass alle wieder glücklich sind und "richtig" Wählen. Und so tönt es aus allen Lagern, angefangen bei den Rechtsaußen der NPD über den rechtsradikalen Flügel der CDU , über unseren allseits geliebten Bundespräsidenten bis zur sogenannten "neuen Mitte" die frohe Botschaft, die besagt, wir können und müssen wieder "Stolz darauf sein, Deutsche zu sein". Hurra. Wieso? Und wie? Blöde Frage: Was ist "Stolz" überhaupt? Stolz ist in erster Linie die Erhöhung der eigenen Selbstachtung aufgrund von persönlicher Leistung. Anders ausgedrückt: Wer etwas gut macht und sich deshalb gut oder gar überlegen fühlt verspürt Stolz . Wer also zum Beispiel die Welt verbessert, seine Kinder so erzieht, dass sie sich "gut" verhalten (nach persönlichem Empfinden), eine gute Zeit auf 3000 Meter läuft, Menschen hilft, oder einen Burrito in der Mikrowelle so heiß machen kann, dass er ihn nicht mehr Essen kann, der kann Stolz auf sich sein. Doch warum sollte jemand stolz darauf sein, ein Deutscher zu sein? Ursprüngliches Nazi-Argument: "Deutsche seien genetisch überlegen." Stimmt nicht, niemals bewiesen, oftmals widerlegt. Moderne Argumente: "Man kann stolz sein auf Goethe, Kant, die Demokratie,…". Ok. Ich kann nicht schreiben wie Goethe, die "Kritik der reinen Vernunft" habe ich auch nicht verfasst, und was die Demokratie angeht, so habe ich auch die nicht nennenswert beeinflusst, also WARUM soll ich stolz darauf sein? Stolz auf einen Zufall der Natur, stolz auf den Längen- und Breitengrad meines Geburtsortes? Stolz auf Deutschland? Da kann ich auch gleich sagen, ich sei stolz auf das Wetter, oder ich sei stolz auf die verstopften Toiletten in Haus 2 und stolz auf antarktische Pinguine, stolz auf den Hund, der heute Morgen vor die Schule seinen Haufen gesetzt hat und stolz auf den Urknall. Macht irgendwie alles keinen Sinn. Ich empfand es eigentlich immer als sehr positiv, dass Deutschland eines der wenigen Länder war, das den Nationalstolz zumindest ansatzweise überwunden hatte . Doch anstatt darin eine Chance zu sehen, beginnt das minderbegabte Kleinbürgertum damit, im Aussterben der letzten Kriegsteilnehmergeneration einen Anlass zur Wiedererweckung eines neuen Patriotismus zu sehen. Die letzten Zeitzeugen sterben aus, richtig, aber macht dies einen Unterschied? Wir haben vor kaum mehr als einem halben Jahrhundert erlebt, wozu sogenannter Patriotismus führt. Recht große Teile der Bevölkerung der BRD haben daraus gelernt (und eigentlich hätte jeder Mensch jeden Landes daraus lernen müssen), und nun heißt es, wir wollen unser gelerntes wieder vergessen. Und da behaupte noch jemand, die Menschheit entwickele sich weiter. Die Ursache all diesen Übels liegt wohl in dem Völkischem Denken. Wenn Mensch sich zu klein und unwichtig vorkommt, identifiziert er/sie sich mit oftmals mit einer Gruppe, einem Verein, einer Stadt und ganz häufig nun mal mit einem Abstraktum namens "Volk". Dies schafft ein "wir", und wo ein "wir" existiert, existiert auch ein "die anderen". Da man selbst zum "wir" gehört, und der Mensch nun mal so ist, müssen "wir" "den anderen" überlegen sein, denn sind "wir" überlegen, bin "ich" überlegen. Was für ein Fehlschluss, wer ohne Gruppe nichts ist, ist schließlich mit Gruppe auch nichts. Und diese unsinnige Abstraktion zum Volk führt zum unsinnigen Patriotismus, der direkt zum unsinnigen Nationalstolz führt, der zu Gewalt, Krieg, etc führt. Alles sehr vereinfacht, aber alles aufgrund eines völlig schwachsinnigen Axioms/Gedankens, das sich bedauerlicherweise immer größerer Beliebtheit erfreut, vom rechten Gartennazi bis zum linken Antideutschen, überall ist das "Volk", nicht das Individuum, entscheidend. Haben wir denn nichts eigenes, individuelles, auf das jeder einzelne stolz sein kann? Und ist Stolz überhaupt nötig, wie wär’s denn mal mit dem Gegenteil von Stolz: Bescheidenheit ?

1 na, wie viele unter uns wissen eigentlich genau, was dieses ominöse "Wachstum" eigentlich bedeutet, welche Ursachen und Wirkungen es wirklich hat? Ich tippe mal auf ca. 0, mich natürlich eingeschlossen. Aber dennoch ist Wachstum etwas ganz tolles, wenn wieder Wachstum da ist, so gibt es wieder Arbeit, Steuererleichterungen, besseren Fußball und viel besseres Wetter. Schon toll… 2 Überlegenheitsgefühl nach Außen zu tragen wäre wiederum "Angabe" 3 …was natürlich nach den Verbrechen des dritten Reiches das Mindeste war. Ich will dennoch diesen Aspekt hier bewusst zurückstellen, um zu zeigen, dass Nationalstolz auch ohne eine solche Vergangenheit logisch, sozial und politisch absoluter Blödsinn ist 4 zur Definition des Ausdruck des "minderbegabten Kleinbürgertums" siehe Titanic 11/04 J

 
 

Termine

Alle Termine

Jusos Pankow Social Media

www.facebook.com/jusospankow

https://www.instagram.com/jusospankow/