Zurück ins erste Fünftel oder: Narben braucht die Stadt - Jusos Nordost besuchen Humboldt-Box

Veröffentlicht am 26.11.2011 in Jusos

Der Mitarbeiter der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum legt sich mächtig ins Zeug. Er will sein Publikum, die Jusos Nordost, die ihre Mitgliederversammlung am 23. November in die Humboldt-Box verlegten, von der „städtebaulichen Notwendigkeit“ des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses überzeugen. „Ich kann mir viele Städte ohne ihr Schloss vorstellen, Berlin jedoch nicht“, erklärt er. Und um Berlin wieder zu dem zu machen, was es einmal war, aber offenbar derzeit nicht mehr ist, plädiert er für eine Schließung der „Wunde“, die zwischen Berliner Dom und ehemaligem DDR-Staatsratsgebäude klafft.

Die Lösung: Die Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses, einst Sitz der Hohenzollernkönige und -kaiser. 1950 entschied die DDR-Regierung, den im Krieg stark zerstörten und ihr missliebigen Bau abzureißen; später wurde an dessen Stelle der Palast der Republik errichtet. Nun trat die DDR bekanntlich von der Bühne ab und wenig später folgte ihr der Palast der Republik. Seither ziert eine Wiese den geschichtsträchtigen Ort. Doch dies wird bald vorbei sein, wenn 2014 die Bauarbeiten für das Stadtschloss beginnen. Der Bundestag hat das Vorhaben bereits abgesegnet, obwohl die Finanzierung nach wie vor nicht geklärt ist. 440 Mio € lässt sich der Bund das Schmuckkästchen kosten, für 32 Mio. € kommt das Land Berlin auf. 80 Mio € müssen durch Spenden finanziert werden, wovon bislang 16 Mio € aufgetrieben werden konnten. Das Bauvorhaben wird jedoch, wie in diesem Sommer bekannt wurde, teurer als geplant, sodass weitere Kosten entstehen. Doch diese Lappalie, so der eifrige Schlossfreund, verblasse angesichts des ungeheuren Nutzens, den das Bauwerk stiften wird. Schließlich gehe es um ein Frage von nationaler Relevanz. „Genauso wie die Dresdner Frauenkirche wird dieser Neubau unser Volk zusammenwachsen lassen“. Sein Kollege pflichtete ihm bei, gerät bisweilen ins Schwärmen angesichts der Imposanz, Größe und Wucht des zu errichtenden Bauwerks und verzieht das Gesicht, wenn er über die Sprengung des Schloss spricht. Dann redet er von „Zerstörung und Vernichtung“ – kein Vokabular scheint zu drastisch, um den Abriss des alten Schlosses zu beschreiben. „Es gibt nichts schlimmeres als die Vernichtung von Kultur“ stellt er am Ende seiner Präsentation fest, um abermals die Unverzichtbarkeit des royalen Prachtbaus hervorzuheben. In der Behauptung, dass mit Kultur nicht allzu leichtfertig umgegangen werden sollte, ist den beiden Schlossfreunden nur beizupflichten. Doch genau aus diesem Grund ist die Wiedererrichtung des Stadtschlosses ein kulturpolitischer Fehler. Kulturdenkmäler sind immer auch ein Politikum, da sie identitätsstiftend wirken. Kultur ist nicht nur schön, verspielt und Grund zum Genuss; sie kann ebenso gut hässlich sein, manchmal reizt sie und ist unangenehm. Historische Kulturdenkmäler müssen kein Augenschmaus sein, in erster Linie sollen sie Erinnerung wach halten und das Bewusstsein von Geschichte prägen. Das Preußenschloss jedoch katapultiert unser historisches Bewusstsein zurück ins erste Fünftel des 20. Jahrhunderts. Als ließen sich somit spätere Ausrutscher überdecken, setzt man auf die Wiederrichtung des Hohenzollernschlosses. Doch Berlin, Kristallisationspunkt der Geschichte des 20. Jahrhunderts, braucht weniger Pomp-Ästhetik als vielmehr einen angemessenen Umgang mit seiner Vergangenheit. Dazu gehört auch die Sichtbarmachung historischer Brüche, die direkt durch seine Mitte verliefen. Deswegen stünde Berlin und seiner Republik eine große Wiese anstelle des Schlosses wohl besser zu Gesicht als Preußens Glanz und Gloria. Denn: Narben braucht die Stadt.