Warum Schule?

Veröffentlicht am 10.10.2004 in Schule

Eine Parodie auf die Sinnhaftigkeit der Institution Schule. Autor dieses Artikels ist Nils Höffler, er ist 21 Jahre alt und Abiturient an der Kurt Tucholsky Oberschule. In seiner Schulkarriere machte er u.a. Station im schönen Braunschweig, auf einem elitären Gymnasium...nach kürzerer Auszeit landete er in Berlin und macht sich Gedanken...

von Nils Höffler.

Es waren einmal vor langer Zeit in einem anderen, vielleicht auch sehr fiktivem Land, einige Denker, die sich, da sie ja nun mal Denker waren, dachten, es wäre sinnvoll, jedem (jungen) Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu bilden, auf das diese sich frei im Geiste zu denkenden Individuen entwickelten. Um dies zu erreichen wurden Schulen gegründet und die Schüler lebten, lernten, dachten und entwickelten sich glücklich und zufrieden und jeder von ihnen war sich sicher, daß der Besuch der Schule sinnvoll und gut war. Wann und wo das auch immer gewesen sein mag, es ist jedenfalls nicht heute und nicht in Deutschland. Schaut man sich eine Deutsche Schule an, wird man kaum den Eindruck bekommen, es ginge in diesem Staat um das Wohl und die Entfaltung des einzelnen Schülers: ein ungenügender Bildungsetat, (oftmals) mangelhaft ausgebildete Lehrer, hohe Klassenfrequenzen, absurde Lehrpläne, schlecht ausgerüstete Schulen und Sporthallen, die für jeden ein Gesundheitsrisiko darstellen (von den dort hausenden Ratten einmal abgesehen). Es hat desweiteren viel mehr den Anschein, als ob nicht das Lehren, sondern das Bewerten im Vordergrund steht. Dreh- und Angelpunkt jedes durchschnittlichen Kurses ist die Klausur, der Stoff, der behandelt wird, ist Klausurvorbereitung. Besonders deutlich ist diese Einstellung bei den Naturwissenschaften zu sehen. Während in den Geisteswissenschaften ab und an noch Diskussionen und Lehrplanfremde Themen gefördert werden (was aber an den wenigsten Schulen so ist), beschränkt sich gerade der naturwissenschaftliche Unterricht zumeist auf ein stures, gedankenloses Auswendiglernen einiger Schemata/Formeln/etc., ohne auch nur im Mindesten in die Tiefe des Themas zu gehen. Um ein Beispiel zu geben: Ende der 11. Klasse konnte jeder einzelne Schüler meiner Klasse sämtliche Zellorganellen mit Namen versehen. Die Funktion dieser in einem Stichwort zu nennen war jedoch nur noch wenigen möglich. Die Art und Weise, wie und warum diese ihre Funktion wahrnahmen, kannte...niemand. Ähnliche Beispiele lassen sich in Physik, und besonders auch Chemie massenhaft finden, mitunter aber auch, wenn auch in geringerer Ausprägung in Erdkunde, Geschichte, Deutsch, PW, und so weiter. Es geht nicht um das "warum?", es geht nur um das "was?", nicht um das Denken und Verstehen, sondern um das sture Auswendiglernen für den Klausurtermin, um alles Tags darauf zu vergessen. Den Glauben an die Parole "nicht für die Schule, für das Leben lernen wir" kann man angesichts dieser Einstellung getrost ablegen, schließlich ist - insbesondere in der Gymnasialen Oberstufe - ein Großteil der in den Lehrplänen der weiterführenden Schulen abverlangten Unterrichtsinhalte weder sinnvoll für die persönlich-geistige Entwicklung, noch für das spätere "Berufs-Leben". So bliebe als einzige Legitimation für die Schule in der Form, in der sie sich hierzulande darstellt, die, dass diese durch "Bewertung" des einzelnen Schülers ihre Position in der Berufswelt bestimmen könnten. Anders ausgedrückt: die praktisch Veranlagten auf Haupt- und Realschule, später auf die Berufsschule, die theoretisch veranlagten aufs Gymnasium, später in die Uni. Ein Gedanke, der bei mir Abscheu auslöst, aber einer, mit dem man argumentieren könnte. Man könnte behaupten, durch eine faire Bewertung der Schüler entstünde Chancengleichheit. Doch kann man einen Schüler überhaupt "fair" bewerten? Natürlich (!) , könnte man meinen, wenn Schüler A fünf Stunden am Tag außerhalb der Schule wenig sinnvolles Schulwissen in sich hineinpaukt während Schüler B dieses nicht tut, muß Schüler A natürlich belohnt werden. Ja, das ist Fair. Doch ist es wirklich fair, wenn Schüler A zum Beispiel aus vermögendem Hause kommt und so die Zeit zum pauken hat, während Schüler B, aus problematischeren Verhältnissen kommend, nach der Schule noch Stundenlang arbeiten oder sich um den Haushalt kümmern muß? Es kann keine derart simple Fairneß geben in einer Welt, die nun mal nicht immer derart gerecht ist. Abgesehen davon weiß jeder Schüler aus eigener Erfahrung, wie Subjektiv gerade mündliche Noten (in Geisteswissenschaften auch die schriftlichen) sind. Als Lehrer absolute Objektivität zu besitzen ist unmöglich, dieses von den Lehrern abzuverlangen ist sinnlos. Weitere Faktoren die eine gerechte Beurteilung unmöglich machen bestehen in der schulischen Vergangenheit des Schülers. Wer auf eine "gute" Grundschule ging hat bessere Chancen, und die meisten kennen die Situation, wenn mal wieder ein Lehrer ohne Vertretungsmöglichkeit einige Monate krank war, und einem im folgenden Jahr die Grundlagen fehlen. Die gleiche Situation entsteht, wenn man auch nur das Pech hatte, einen unfähigen Lehrer zu bekommen, der schlicht und einfach den Beruf verfehlt hat - bedauerlich für ihn, noch bedauerlicher für hunderte von Schülern. Um es nochmal zusammenzufassen: eine gerechte Notengebung ist nicht möglich, während in den Naturwissenschaften sinnloses Quizwissen objektiv bewertet wird, wird in den Geisteswissenschaften sinnvolles Wissen subjektiv bewertet. Und dennoch gehen wir zur Schule. Warum? Weil die Alternativen auch nicht besser sind? Weil es von uns erwartet wird? Oder, recht oft, weil wir eine Urkunde, ein Stück Papier mit einer möglichst niedrigen Nummer benötigen, um endlich zu studieren und vielleicht doch noch was zu lernen. Ich möchte diesen Artikel keinesfalls als Angriff auf die Lehrerschaft verstanden wissen, es sind nicht (oder nur selten) die einzelnen Lehrer (die ja zum Teil aus persönlichem Engagement heraus versuchen, Schule doch sinnvoller zu gestalten, als Beispiele seien der empfehlenswerte "Seminarkurs Demokratie" in der Oberstufe, die Unterstützung der Schülervertretung, Projekte wie "Hands across the Campus", DS- und Philosophiekurs genannt), die Sinn und Zweck der Schule auf ein Mindestmaß reduzieren, es ist vielmehr das Schulsystem im allgemeinen, die Tatsache, dass das Ziel - nämlich Schüler dabei zu fördern, sich zu entfalten und frei denkende Individuen zu werden - aus den Augen verloren wurde, dass ich zu kritisieren habe. Was kann man als Schüler für Konsequenzen daraus ziehen? Erstens könnte man versuchen, an den Tatsachen in Form zum Beispiel von politischem Engagement in welcher Art und Weise auch immer etwas zu verändern, zweitens sollte man die seit der Grundschule antrainierte Konsumentenhaltung (Lehrer sagt, Schüler gehorcht und lernt) überwinden, und versuchen, die im Unterricht erlernten Dinge zu hinterfragen und, wo Interesse besteht, das Lernen auf den Bereich außerhalb der Schule und außerhalb der Klausurthemen zu legen. Wer lernen will, sollte nicht hoffen, dass dieser Bedarf durch die Schule gedeckt werden kann. Außerdem sollte man aufhören, Noten zu ernst zu nehmen, seht zu, dass ihr gut genug abschneidet um eure Ziele zu erfüllen, aber glaubt nicht, Noten hätten irgendeine Bedeutung. Jedenfalls möchte ich nie wieder Aussagen wie "Ich hab ´ne fünf, ich bin einfach zu dumm" zu hören kriegen, gute Noten haben nichts mit Intelligenz zu tun, nur mit der Fähigkeit, unreflektiertes Quizwissen in sich hineinzustopfen und zur rechten Zeit wieder auszuspucken.